
Boah, Bahn!: Wie Webserien funktionieren
Dieser Artikel wurde zuletzt am 24. Oktober 2025 aktualisiert.
Die Deutsche Bahn sorgt derzeit wieder einmal für Schlagzeilen. Aber nicht (nur) durch kaputte Züge, Verspätungen oder Zugausfälle, sondern mit einer neuen Webserie. Anke Engelke zeigt uns als Zugchefin Tina in „Boah, Bahn!“, wie man den Problemen der Bahn auch mit Humor begegnen kann. Das ist wirklich gut gelungen, kommt aber trotzdem nicht bei allen gut an.
Inhaltsverzeichnis
Die Webserie startetet vor kurzem auf den Social-Media Kanälen der Bahn und entwickelte sich schon bald zum viralen Hit. Die kurzen Folgen von bis zu drei Minuten sind ausschließlich für das Internet produziert, was schon am Hochformat auffällt. Wir begleiten darin die Zugchefin bei ihren täglichen Aufgaben im ICE. Dabei spricht sie mit den Fahrgästen und ihren Kolleginnen und Kollegen, versucht den Kaffee durch den vollen Zug zu manövrieren oder macht Ansagen für die aktuelle Verspätung. Anke Engelke (sowie auch die anderen Schauspielerinnen und Schauspieler) spielen das perfekt. Mit viel Humor, Situationskomik aber auch Eigenkritik. Das Zugpersonal wird mit allen Widrigkeiten konfrontiert, die man als normaler Bahnkunde häufig mit dem Ticket kostenfrei dazu bekommt.
Dreharbeiten im echten Zug
Die Komikerin ist im echten Leben selbst Bahnfahrerin und hat für die Webserie sogar ein halbjähriges Praktikum absolviert. Sie spricht aus, was alle denken: „Ich muss da mal reingucken, ich muss das verstehen, ich versteh das einfach nicht“. Gedreht wurde dann unter Regie von Arne Feldhusen, der auch für Stromberg verantwortlich war, im fahrenden Zug mit Komparsen. Das sieht man tatsächlich – sowohl die Ansätze des liebgewonnenen Chefs in der Versicherungsabteilung als auch das authentische durch die echte Zugfahrt. Die Webserie nutzt dabei viele typische Stilmittel, z. B. eine wackelige Handkamera oder auch Durchbrüche der vierten Wand (der Zuschauer wird direkt angesprochen).
Hammer, dass ich sowohl durch das Praktikum als auch durch die Dreharbeiten ins Herz der Deutschen Bahn gucken durfte. Selten so ein tolles Abenteuer bei der Arbeit erlebt: Dreharbeiten mit Cast, Team und Kompars:innen in fahrenden Zügen – Herausforderung und Riesenspaß zugleich. Danke, Universum, für ein 1a-Team und Riesenvertrauen auf allen Seiten.
Anke Engelke – DB
Warum eine solche Webserie?
Die Serie mir Zugchefin Tina hat mehrere Aufgaben und Zielsetzungen. Zum einen dient sie natürlich als Werbemaßnahme, aber viel mehr ist es ein Projekt für die tausenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Staatkonzerns. Die Zugführer oder Zugbegleiter kämpfen im Alltag mit all den Problemen, die wir als Kunden der Bahn ebenfalls haben. Hierauf den Fokus zu richten und mit Humor anzureichern, sorgt erstaunlicherweise schnell zu einem Umdenken: Meckern kann jeder, aber es gibt da draußen auch viele Menschen, die alles dafür geben, es besser zu machen.
Die Serie hat also mehrere Zielgruppen, die unterschiedliche Bedürfnisse haben. Beide anzusprechen ist wirklich schwer, ist aber meiner Meinung nach (ich bin ja kein Bahnmitarbeiter) geglückt. Dazu passt dann auch der Satz „Wir sitzen alle im selben Zug“
Kurz gesagt, war dies der bisher erfolgreichste Start einer DB-Werbekampagne überhautpt. Trotz anspruchsvollem Umfeld erhalten wir viel Zuspruch von Kundinnen und Kunden sowie Mitarbeitenden. [als Antwort] Die Kampagne verschafft vor allem Verständnis für die Mitarbeitenden auf den Zügen. […] Sie in den Fokus zu rücken, war unser Ziel.
Jens-Oliver Voß – Leider Kommunikation und Marketing Deutsch Bahn AG
„Boah, Bahn!“ hat es also geschafft viral zu gehen und eine Vielzahl an Menschen zu erreichen. Es wird diskutiert und über den maroden Staatskonzern gesprochen – und zwar im positiven. Zufälligerweise (oder doch nicht?) fällt das dann auch in die Zeit eines Führungswechsels in der Konzernspitze und der Vorstellung der neuen ICE-Generation. Im Marketing geht es immer auch um Timing und die Verbindung mit anderen Medien und Ereignissen. Die beste Kampagnen denken breiter – oder bekommen (unfreiwillig) zusätzliche Aufmerksamkeit durch Mitbewerber.
Es gibt auch negative Stimmen zur Werbung
Bei solchen Kontroversen Themen gibt es natürlich auch kritische Stimmen. So stellen sich auf LinkedIn z. B. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Frage, ob man in Zeiten von Sparmaßnahmen das Geld nicht besser in die Infrastruktur stecken sollte. Vielen stößt aber auch die humorvolle Aufarbeitung und der Galgenhumor auf. Gerade als Vielfahrer könne man nicht mehr darüber lachen und in der Chefetage fehle es an Selbstkritik. Das zeigt das Dilemma das Konzerns, aber auch wie stark das Thema polarisiert.
Das ist die falsche Werbung für das falsche Unternehmen. Der Konzern ist im Selbstironie-Modus. Das hätte vielleicht 2010 funktioniert. Heute sind die Missstände derart eklatant, dass man nicht mehr humorvoll darüber hinwegsehen kann.
Süddeutsche Zeitung
Eine Webserie setzt auf die Kommunikation mit den Zuschauern – denn anders als in der klassischen Werbung gibt es keine Einbahnstraße in der Kommunikation. Reaktionen kommen unmittelbar und in voller Härte. Im Falle Webserie für die Bahn ist es daher umso beachtlicher, wie positiv das Feedback im gesamten ausfällt.
Was genau ist eigentlich eine Webserie?
Wenn du auf Social Media unterwegs bist, bist du Webserien mit Sicherheit schon begegnet, auch wenn dir das vielleicht gar nicht bewusst war. Dabei handelt es sich um (meist) kurze, fortlaufende Videoformate, die speziell für Video-Plattformen wie Instagram, TikTok oder YouTube produziert werden. Selten auch für Streaming-Angebote. Eine typische Webserie besteht aus mehreren Folgen zu meist zwei bis drei Minuten, die regelmäßig erscheinen. Typisch sind 1-2 Folgen pro Woche.
Webserien funktionieren ähnlich wie klassische Serien: Sie bauen eine Geschichte über mehrere Folgen hinweg auf und setzen auf wiederkehrende Figuren. Diese Erzählweise sorgt für Bindung an die Figuren und hält das Interesse aufrecht. Gleichzeitig sind Webserien deutlich schlanker produziert: Sie entstehen oft mit kleinem Team, wenig Budget und direkt für die vertikale Nutzung am Smartphone. Das spart Kosten und schafft kreative Freiheit.
Ein zusätzlicher Vorteil liegt in der Flexibilität. Viele Webserien werden während ihrer Veröffentlichung weiterentwickelt. So kann direkt auf aktuelle Trends, Reaktionen aus der Community oder veränderte Rahmenbedingungen reagiert werden. Ein klassischer TV-Sendeplatz wird dafür nicht gebraucht. Stattdessen erscheinen die Folgen auf Social Media, in Blogs oder auf eigenen Projektseiten. Dadurch ist man plattformunabhängig und erreicht die Zielgruppe genau dort, wo sie sich ohnehin aufhält. Dadurch entsteht auch kein Charakter von Werbung oder vorgesetztem Inhalten.
Heute wird grob zwischen zwei Formen unterschieden: „Scripted Webserien“, die wie Mini-Dramen oder fiktionale Shows funktionieren, und „Social-Formate“, die eher dokumentarisch erzählt sind, wie z. B. lose zusammenhängende Storys aus dem Arbeitsalltag. Webserien sind – wie am Beispiel der Bahn – oft humorvoll und nahbar. Denn gerade solche Clips werden geteilt und haben somit das Potential viral zu gehen.
Wichtig ist dabei vor allem eines: Jede Folge sollte einen echten Mehrwert bieten. Sei es durch Emotion, Information oder Unterhaltung. Eine platte Produktplatzierung funktioniert hier nicht, da die Zuschauer das sofort bemerken. Webserien leben von Authentizität, Nähe und klarem Storytelling.
Der Ursprung der Webserien
Ursprünglich kamen viele Webserien aus der freien Filmszene. Kreative Köpfe wollten eigene Geschichten erzählen – zwar ohne Sender, aber mit viel Leidenschaft. Mittlerweile hat sich das Format professionalisiert: Unternehmen nutzen Webserien gezielt als Marketinginstrument, um Markenwelten aufzubauen, Produkte emotional aufzuladen oder komplexe Themen unterhaltsam zu vermitteln.
Es gibt aber auch Beispiele, wie sich fiktionale Serien aus z. B. einem YouTube-Projekt entwickelt haben. Durch eine Werbebeteiligung und Sponsoren oder Werbepartner sind ausreichend hohe Budgets auch für größere Projekte vorhanden. Ein Beispiel ist die Serie „Krass Klassenfahrt“, die mittlerweile auf Joyn (Streaming-Plattform von ProSiebenSat1) veröffentlicht wird. Gestartet wurde das Projekt vom Webvideoproduzent Jonas Ems. Ein anderes Beispiel ist „Wishlist„, das von Funk (Netzwerk von ARD) und ZDF) produziert und mehrfach ausgezeichnet wurde.
Wie findest du die Webserie der Bahn? Kannst du darüber lachen?
Fotos: Deutsche Bahn AG / Tobias Schult
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